Ruth Waldmann im Interview: "Geimpfte wieder einzusperren kommt nicht in Frage"

10. November 2021

Die Bayerische Landtagsabgeordnete und gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Ruth Waldmann, im Interview mit Landtagskorrespondent Ralf Müller (Nürnberger Zeitung) über alternative Corona-Messwerte, eine Impfpflicht und das Stattfinden der Weihnachtsmärkte.

Frau Waldmann, die Pandemie entwickelt sich derzeit ja wieder höchst unerfreulich. Hätte man das vermeiden können? Die Opposition weiß ja immer alles besser, sagen die Regierenden.
Wenn sie denn auch mal auf uns hören würden. Seit Mitte September habe ich darauf hingewiesen, dass die Krankenhausampel ein untaugliches Instrument ist, weil sie die Lage erst abbildet, wenn es schon zu spät ist und die Menschen schon in den Krankenhäusern liegen. Außerdem wurde nicht gesagt, was man eigentlich machen will, wenn die Ampel auf gelb oder rot springt. Letzte Woche hat man das konkretisiert, verkündet wurde die Ampel aber Ende August. Jetzt wundert man sich, dass die hohen Sieben-Tage-Inzidenzen auch zu hohen Krankenhausbelegungen führen. Das kam mit Ansage.

Hätte man bei den Inzidenzen als maßgebliches Kriterium bleiben müssen?
Es gibt auch noch den R-Wert und spezielle Inzidenzen für Altersgruppen. Es hätte klar sein müssen, wie ein neuer Wert ermittelt wird. Dass sich etwas ändern musste, weil die Impfquote steigt, ist ja in Ordnung. Wie wir gesehen haben, war die Orientierung an reinen Krankenhaus-Belegungswerten aber falsch.

Politische Pandemie-Sprechblasen waren: Keine Impfpflicht, kein 2G, kein neuer Lockdown. Jetzt hört es sich schon wieder etwas anders an. Kommt ein neuer Lockdown?
Ich weiß nicht, was Ministerpräsident Söder vorhat. Er ruft ja nach Verlängerung der pandemischen Notlage von bundesweiter Tragweite. Diese eröffnet nur die zusätzliche Möglichkeit zu Schulschließungen und Lockdowns. Das will der Ministerpräsident offenkundig gar nicht. Warum will er dann diese Instrumente in der Hand behalten? Wir haben eine Pandemielage von bayernweiter Tragik.

"Zwei Monate den Mund fusslig geredet"

Die Politik will Vieles nicht, besonders nicht einen neuen Lockdown, aber das interessiert das Virus doch wohl nicht?
Alle die, die sich an die Regeln halten und ihren Beitrag etwa durch Impfung geleistet haben, kann man jetzt nicht wieder zuhause einsperren. Das kommt nicht in Frage.

Es gibt aber doch jede Menge Impfdurchbrüche. Also sind die Geimpften auch nicht hundertprozentig geschützt...
Das wussten wir vorher. Die Geimpften sind aber geschützt vor schlimmen Krankheitsverläufen und sie sind auch weniger ansteckend. Es gibt Regionen, wo wieder verschärfte Maßnahmen möglich sein müssen, aber doch nicht für alle und flächendeckend. Ich habe kritisiert, dass die Ampel auf die regionalen Situationen überhaupt nicht reagiert. Jetzt erst gibt es wieder die regionale Komponente, wegen der ich mir zwei Monate lang den Mund fusslig geredet habe.

Was halten Sie von einer allgemeinen oder einer Impfpflicht für bestimmte Berufe?
Die Politik hat gesagt, es gibt keine Impfpflicht. Da ist sie ein Stück weit im Wort. Ich schlage vor, noch einmal eine gezielte Aufklärungskampagne aufzusetzen. Ich habe festgestellt, dass in vielen Krankenhäusern oder Pflegeheimen, in denen am Anfang die Impfbereitschaft beim Personal gering war, diese massiv gesteigert werden konnte, wenn man sich Zeit zur Aufklärung genommen hat. Das müsste man auch jetzt machen: In alle Kliniken, Heime und Kitas gehen mit Ärzten, die aufklären und die Sorgen und Ängste ausräumen.

Seit geimpft wird, wird ständig aufgeklärt, also seit fast einem Jahr. Wer jetzt insbesondere in diesen Berufen immer noch nicht erkannt hat, was die Stunde geschlagen hat, der ist doch nicht mehr zu überzeugen...
Vielleicht kommt man am Ende um Impfpflichten nicht herum, aber ich würde es doch noch einmal mit Aufklärung versuchen. Es gibt immer noch Leute, die ernsthafte Zweifel haben. Untereinander kursieren Gerüchte. Diese Gerüchteinfektionskette zu durchbrechen, sollte man versuchen. Übrigens gehören zum Personal in den Kliniken und Heimen auch die Ärzte und Reinigungskräfte. Bei Letzteren haben wir eine besonders hohe Impfskepsis.

"Schwurbler haben Fürsprecher in der Regierung"

Als die Regierenden im Laufe des Sommers bis in den Frühherbst hinein eine Art Öffnungseuphorie befeuert haben, hat man von der SPD keinen besondere Widerstand vernommen. Haben wir da was überhört?
Wir haben immer Vorschläge gemacht, was man stattdessen oder zusätzlich machen sollte. Es dauert nur leider sehr lange, bis die Vorschläge umgesetzt werden. Vor allem hätte man im Sommer die Impfungen für die Schüler und Schülerinnen vorbereiten müssen. Söder hat zwar Druck auf die Ständige Impfkommission gemacht, damit sie Empfehlung für Impfungen für Kinder ab zwölf Jahren ausspricht, aber als sie endlich kam, war nichts vorbereitet. Bayern hat die höchsten Inzidenzen und die niedrigsten Impfquoten in ganz Westdeutschland, bei uns sind die Kliniken am vollsten. Jetzt will Söder immer eine Ministerpräsidentenkonferenz, obwohl er sich in der ganzen Pandemie nie an deren Beschlüsse gehalten hat.

Söder führt die hohen Infektionszahlen insbesondere im Süden Bayerns auf die relativ große Dichte an Querdenkern zurück. Sehen Sie das auch so?
Bayern ist das einzige Land, wo die Impfskeptiker und -schwurbler in Gestalt des stellvertretenden Ministerpräsidenten Aiwanger ihren Fürsprecher in der Regierung haben, den Söder ja auch nicht in den Griff kriegt.

Das vollständige Interview der Nürnberger Presse: nordbayern.de

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